das Leben
12sek, Freitag, 19. November 2004, 09:23
das plätschernde geräusch will nicht enden. ohne unterlass fließt das nass des himmels die regenrinne hinunter und ergießt sich auf dem kalten aspalt. das spritzwasser nimmt keine rücksicht auf die eilig daherlaufenden menschenfüsse. einer nach dem anderen bekommt einen spritzer ab. hosenbeine werden nass und ordentlich geputze schuhe verlieren ihren ganz. seine träger merken es nicht einmal.
ohne innezuhalten laufen sie weiter, schauen nicht nach rechts, schauen nicht nach links. an ihnen ziehen häuserwände, schaufenster und vereinzelte laternen vorbei. die lärm der autos scheint im gewusel unterzugehen.



niemand achtet auf ihn. er sitzt zusammengekauert auf einer kleinen decke. ein hund, dessen farbe einmal weiß war - vor langer zeit, als auch sein leben noch angenehmer war - liegt zu seinen füssen, erwärmt einen teil seiner rechten körperhälfte. ein kleines döschen am rande seiner dünnen decke ist leer. niemand hat einen cent übrig. alle sind beschäftigt, haben besseres zu tun, schleppen sich mit vollen, modischen einkaufstüten - aus sündhaftteuren geschäften - ab. ein mann schlurft vorbei, achtlos tritt er gegen das kleine döschen. es kippt um, kullert ein stück weit. der hund will aufstringen, will einen laut von sich geben. mit einer sachten handbewegung stoppt er den vorwärtsdrang seines treuen freundes. legt die hand beruhigend auf dessen nassen, weißen kopf. langsam gleitet der hund in seine alte position zurück um wieder neben ihm zuliegen zu kommen. mühsam rappelt er sich auf, will nach dem kleinen döschen greifen. ein paar laut, tönende jungen kommen angelaufen, sehen seine bemühungen die dose zu greifen und treten zu. treten gegen das kleine blechernde döschen und lachen, lachen laut auf. immer weiter entfernt sich das scheppern der dose. er läßt sich zurückfallen. der nasse anorak liegt schwer auf seinen schultern. ohne unterlass plätschert das regenwasser durch die abflussrinne, spritz neben ihm zu boden. er ist naß, ihm ist kalt, seine hände zittern als er sie hochhebt um diese als ersatz für seine blechernde dose zu nehmen. eine alte frau kommt vorbei. bleibt stehen, lächelt, klappt ihren kleinen altmodisch bedruckten schirm zusammen. klemmt sich den tropfenden stoff unter ihren arm. schnell bekommt der graue mantel nässespuren. sie öffnet ihre handtaschen. etwas hilflos kramt sie darin herum. ein 10 euroschein erscheint in ihrer hand. sie gibt ihn weiter, in seine kalte, zitternde hand. er hebt den hopf, schaut die frau an. sein gesicht ist naß, regentropfen laufen über seine wangen und nur er weiß, dass sie salzig schmecken.

Kommentieren



saphir, Freitag, 19. November 2004, 11:08
An deinen Geschichten
fasziniert mich immer das Ende. Es ist soanders als man es sich vorstellt.

genauso
soll es sein. der anfang darf das ende nicht verraten.
Kommentieren
 

bluevelvet001, Freitag, 19. November 2004, 11:47
...das Leben
Exakt beobachtet, wunderschön formuliert, das Gefühl entsteht, diesem Menschen schon begegnet zu sein.
Der Text macht nicht traurig, er rückt mich vielmehr in die Nähe des Beschriebenen und läßt mich sehen, schmecken, riechen fühlen, was er empfindet. Ich lese dich gerne.
bluevelvet001

...
das freut mich.
Kommentieren
 

spiritofhope, Freitag, 19. November 2004, 23:11
So schnell
bringt man einen Geist der Hoffnung zum weinen...

solange
die hoffnung noch einen ausdruck hat.
Kommentieren